Digitale Souveränität: Europas Abschied von Microsoft

Europas Verwaltungen wenden sich von Microsoft ab. Was treibt diesen Wandel an?

Digitale Souveränität: Europas Abschied von Microsoft

In der Europäischen Union vollzieht sich ein bemerkenswerter Wandel: Öffentliche Verwaltungen und Regierungen wenden sich zunehmend von proprietärer Software ab. Im Fokus dieser Bewegung steht vor allem der Abschied von Microsoft-Produkten zugunsten von Open-Source-Alternativen. Dieser Artikel beleuchtet die Hintergründe, analysiert konkrete Beispiele und wagt einen Ausblick, warum diese Entwicklung eine der größten Chancen für Linux und die gesamte Open-Source-Welt sein könnte.

Aktuelle Beispiele aus Europa: Schleswig-Holstein als Vorreiter

An der Spitze dieser Bewegung steht ein deutsches Bundesland. Schleswig-Holstein hat den umfassenden Wechsel zu Open Source beschlossen und wird damit zum digitalen Vorreiter. Im Rahmen dieser Umstellung sollen rund 30.000 Regierungscomputer von Windows auf Linux und von Microsoft Office auf LibreOffice migriert werden. Doch damit nicht genug: Auch Kollaborationslösungen wie Microsoft Exchange und SharePoint sollen durch Open-Source-Produkte wie Nextcloud und Open-Xchange ersetzt werden, und sogar der Verzeichnisdienst Active Directory steht zur Ablösung an.

Dieser mutige Schritt findet in ganz Europa Nachahmer, wenn auch in unterschiedlichem Umfang:

  • In Dänemark gab es kurzzeitig Aufregung um einen vermeintlich kompletten Umstieg, der sich später als eine Falschmeldung herausstellte. Tatsächlich plant das dänische Ministerium für Digitalisierung aber den Ersatz von Microsoft Office durch LibreOffice, was den generellen Willen zur Veränderung unterstreicht.
  • Die französische Stadt Lyon verabschiedet sich ebenfalls von Microsoft Office und setzt zukünftig auf die Open-Source-Lösung OnlyOffice.
  • Ein besonders beeindruckendes und langfristiges Beispiel liefert die französische Gendarmerie. Sie setzt bereits seit Jahren erfolgreich auf eine eigene, angepasste Ubuntu-Distribution namens GendBuntu. Mit über 80.000 Installationen ist dies eines der größten Linux-Desktop-Deployments im öffentlichen Sektor der EU und beweist, dass eine solche Migration im großen Stil nicht nur möglich, sondern auch nachhaltig erfolgreich sein kann.

Ein Blick zurück: Das Schicksal von LiMux in München

Nicht jeder Versuch in der Vergangenheit war von Erfolg gekrönt. Das wohl bekannteste Beispiel ist das LiMux-Projekt der Stadt München. Bereits 2003 entschied sich die bayerische Landeshauptstadt, ihre Verwaltung von Windows auf eine eigene Linux-Distribution umzustellen. Nach der Umstellung von rund 14.000 PCs fiel nach etwa einem Jahrzehnt jedoch die Entscheidung, zu Microsoft zurückzukehren.

Warum LINUX in technischen Umgebungen besser ist
Das richtige Werkzeug für die richtige Aufgabe…

Die Gründe für das Scheitern waren vielschichtig. Neben politischem Druck und intensivem Lobbying seitens Microsoft wurden oft die hohen Kosten für Wartung, Support und die aufwendige Anpassung von Fachanwendungen als Hauptprobleme genannt. Projekte dieser Größenordnung erfordern nicht nur einen langen Atem, sondern auch eine hohe Anfangsinvestition in Schulungen und die Entwicklung von Ersatzlösungen für etablierte Prozesse. Die damalige Gemengelage aus technischen Hürden, politischem Gegenwind und einer noch nicht so reifen Open-Source-Landschaft führte letztendlich zum Ende des Projekts.

Die treibenden Kräfte: Digitale Souveränität und Kosten

Warum erleben wir also gerade jetzt eine neue Welle dieser Initiativen, und warum könnten sie diesmal erfolgreicher sein? Zwei Hauptgründe kristallisieren sich heraus:

  1. Digitale Souveränität: Das geopolitische Klima hat sich verändert. Die EU strebt nach mehr Unabhängigkeit von US-Technologiekonzernen und deren Geschäfts- und Datenpolitik. Da es in Europa keine vergleichbaren proprietären Software-Giganten gibt, ist Open Source die einzig logische Alternative, um die Kontrolle über die eigene technologische Infrastruktur zu behalten. Es geht darum, sicherzustellen, dass keine ausländische Regierung oder ein einzelnes Unternehmen durch strategische Entscheidungen oder das Einstellen von Diensten die Funktionsfähigkeit europäischer Verwaltungen lahmlegen kann. Initiativen wie das "European Digital Infrastructure Consortium" (DC-EDIC) zeigen den Willen, diese Souveränität auf EU-Ebene zu stärken.
  2. Kosten: Microsoft hat seine Preispolitik in den letzten Jahren deutlich angezogen. Für Organisationen mit zehntausenden Lizenzen summieren sich die Kosten schnell zu enormen Beträgen. Der Zwang zum Umstieg auf neue Versionen, wie von Windows 10 auf 11, der Millionen von voll funktionsfähigen Rechnern zu Elektroschrott erklärt, verstärkt den finanziellen Druck. Auch wenn eine Migration zu Open Source anfangs Investitionen erfordert, entfallen die wiederkehrenden Lizenzgebühren, was langfristig zu erheblichen Einsparungen führen kann. Die anfänglichen Migrationskosten, die das LiMux-Projekt belasteten, werden heute durch ein wesentlich reiferes Ökosystem und eine breitere Verfügbarkeit von Fachexperten relativiert.

Warum dieser Wandel eine Chance für alle ist

Die Abkehr von technologischen Monokulturen ist aus mehreren Gründen ein Nettogewinn für die Gesellschaft:

  • Stärkung des Open-Source-Ökosystems: Wenn öffentliche Verwaltungen Open-Source-Software einsetzen, finanzieren sie mit Steuergeldern nicht nur die Migration, sondern oft auch die Weiterentwicklung. Benötigt eine Behörde eine bestimmte Funktion, die in LibreOffice oder einer Linux-Anwendung fehlt, kann sie Entwickler beauftragen, diese zu implementieren. Da der Code offen ist, profitiert die gesamte Community von diesen Beiträgen.
  • Positive Effekte auf Bildung und Arbeitsmarkt: Setzt die Regierung auf offene Standards, werden diese Werkzeuge wahrscheinlich auch in Schulen und Universitäten gelehrt. Eine Generation, die mit Linux, LibreOffice und anderen freien Tools aufwächst, wird diese auch im späteren Berufsleben nachfragen und einsetzen. Dies könnte die Dominanz von Microsoft-Produkten auf dem gesamten Arbeitsmarkt nachhaltig aufbrechen.
  • Mehr Sicherheit und Transparenz: Der offene Quellcode ermöglicht es Sicherheitsexperten weltweit, die Software auf Schwachstellen zu überprüfen. Es gibt keine versteckten Hintertüren, und die Funktionsweise ist für jeden nachvollziehbar – ein entscheidender Vorteil für sicherheitskritische Infrastrukturen.

Hürden und Ausblick: Ist der Erfolg garantiert?

Trotz der positiven Vorzeichen ist der Weg steinig. Die aktuellen Initiativen sind noch Insellösungen. Ein politischer Machtwechsel oder ein verlockendes Angebot eines Tech-Giganten könnten die Bemühungen zunichtemachen. Die Komplexität der Migration von über Jahrzehnte gewachsenen IT-Strukturen darf nicht unterschätzt werden.

Der entscheidende Unterschied zu früheren Versuchen wie LiMux ist jedoch der Reifegrad des heutigen Open-Source-Stacks. Linux auf dem Desktop ist stabiler und benutzerfreundlicher als je zuvor. Webbasierten Anwendungen ist es ohnehin gleichgültig, auf welchem Betriebssystem der Browser läuft. Büro-Suiten wie LibreOffice und OnlyOffice sind für die allermeisten Anwendungsfälle ein vollwertiger Ersatz für Microsoft Office. Der Zeitpunkt für den Wandel war nie besser.

Fazit

Die zunehmenden Bestrebungen europäischer Verwaltungen, sich von proprietärer Software zu lösen, sind mehr als nur eine reflexartige Reaktion auf geopolitische Spannungen und steigende Kosten. Sie repräsentieren eine strategische Neuausrichtung hin zu mehr digitaler Souveränität, Sicherheit und Nachhaltigkeit. Ob diese Welle des Wandels die technologische Landschaft Europas dauerhaft verändern wird, bleibt abzuwarten, doch die Chance für Linux und die Open-Source-Welt war noch nie so greifbar wie heute.